Eine neue Meißner Formel?
Schon als die Meißner Formel 1913 aufgestellt wurde, war sie kontrovers diskutiert. Den einen sagte sie zuwenig aus, den anderen zuviel, manche
konnten damit gar nichts anfangen und für wieder andere war oder wurde sie zum Evangelium.
"Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit
ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein."
Meißnerformel 1913
Festzustellen ist, dass sie eine bedeutungsschwere Aussage ist, die im damaligen Zusammenhang geradezu revolutionär war und bis heute als Leitbild
dient. Sie erhob nie den Anspruch perfekt zu sein und war es auch nie. Doch im Drang zu den Freideutschen Jugendtagen Erklärungen abgeben zu
müssen, wird auch der Ruf nach einer neuen Meißner Formel laut.
Aber braucht man überhaupt eine neue? Wird da nicht eine heilige Kuh geschlachtet? Zum einen ja und zum anderen nein. Die Meißner Formel
wird rein aus der geschichtlichen Entwicklung immer die Meißner Formel bleiben. Die massivste Schwäche, die sie aus heutiger Perspektive,
also 100 Jahre später zeigt, ist, dass sie sehr gegenwärtig ist, also die Frage Wo will die Freideutsche Jugend hin? unbeantwortet lässt.
Sicher kann man ableiten, dass auch die zukünftige Jugend ohne Einmischung der Philister (heute würde man Spießer sagen) ihr Leben
gestalten will, doch was geschieht mit dem Einzelnen, wenn er die Jugendphase hinter sich gelassen hat? Muss er dann Philister werden? Ein Problem,
das seit der bündischen Phase (ab Ende 1.Weltkrieg) zumindest praktisch mit der Idee des Lebensbundes beantwortet wird.
Die Bündischen haben aus ihrer Entwicklung her viele Formen entdeckt oder errungen, ausprobiert und was gut war bewahrt. Das sind vor allem die Fahrt,
das Musische, die einfache Ausrüstung und absichtlich unmodische, aber robuste Kleidung. Die Fürsten in Lumpen und Loden ermöglichen es auf
Fahrt echte Freundschaft, Natur und die Schönheit fremder Länder, Völker und Kulturen zu erleben aber auch schlechtem Wetter, Kälte,
Hitze, Hunger oder schweren Wegen zu trotzen. Ein bunter Strauß der Möglichkeiten tut sich da auf: von Wandervögeln, denen alles zuviel
ist, was nicht in den Affen (Tornister) passt, bis zu kochgeschirrklappernden Weltreisekarawanen. Und das alles ohne den Einfluss der Erwachsenen. Auch
hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, denn z.B. die Schwarzzelte, basierend auf der Kohte, die heute ein Markenzeichen bündisch angehauchter
Gruppen sind, gibt es erst seit etwa 1930.
Die Frage Wohin wollen wir? ist dabei immer noch nicht beantwortet. Betrachtet man alle Bünde, so stellt man fest, dass allen gemeinsam ist, dass
sie den besseren Menschen schaffen wollen. Dies nicht in einer arroganten oder überheblichen Weise, sondern in der Form von Menschen, die sich selbst
besser kennengelernt haben. Dies kann man wohl als Ziel empfinden. In der Meißner Formel lauert nun eine Gefahr, denn wenn die Freideutsche Jugend vor
eigener Verantwortung ihr Leben gestalten will, so hängt zu viel von dieser Verantwortung ab. Ausdrücken wollte man damals den Ausbruch aus der
Unmündigkeit und Einengung gegenüber den Erwachsenen, doch die eigentliche Verantwortung darf nicht im Bereich menschlicher Fehlbarkeit liegen
( siehe auch hier ), sondern muss aus der tiefsten Empfindung der absoluten Wahrheit kommen. Gläubige erkennen nun Gott als die absolute Wahrheit,
ährend andere von ihrem Gewissen reden. An dieser Stelle droht die Gefahr, sich in philosophischen oder theologischen Teufelskreisdiskussionen zu
verlieren. Nennen wir diese höchste Instanz, ob sie jetzt Gott heißen möge oder auch nur fiktiv sei, das Höchste. Denn nur
erantwortung im Bewusstsein des Guten ermöglicht es, den besseren Menschen hervorzubringen.
Aus der Meißner Formel und diesen Überlegungen könnte man nun folgende Formulierung aufstellen:
"Die Freideutsche Jugend will selbstbestimmt und nur in Verantwortung vor dem Höchsten stets das Gute, Wahre und Schöne erringen,
um in dieser inneren Wahrhaftigkeit ihr Leben zu gestalten und den freien, mündigen und glücklichen Menschen hervorzubringen."